DIE KUNST DER FUGE | REZENSION MITTELBAYERISCHE ZEITUNG
Pianist Sir András Schiff spielt in Neumarkt Bachs rätselhaftes Werk »Die Kunst der Fuge«.
Ein Mount Everest am Klavier
»Das ist wirklich ein Mount Everest, so einmalig und fantastisch, dass das Werk mich begleiten soll, solange ich atme.«Das ist ein Zitat des in Ungarn geborenen, jetzt in der Welt beheimateten Pianisten Sir András Schiff mit Wohnsitzen in Österreich, Italien, England und der Schweiz zu Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge BWV 1080. Schiff ist jetzt bald 72 Jahre alt und spielt diesen Mount Everest erst öffentlich seit seinem 70. Geburtstag. (…)
Das Werk an sich ist geheimnisumwoben. Kein Forscher konnte bisher mit Sicherheit sagen, zu welchem Zweck es komponiert wurde, wie die Reihenfolge genau gespielt werden soll, ob es überhaupt aufgeführt werden soll und in welcher Besetzung oder ob es nur der stillen Kontemplation des Lesens der Noten dienen soll - und dazu, zu zeigen, was man mit einem eine Quinte umspannenden und ausfüllenden, dann nach unten zum Leitton hin sich erweiternden Thema alles anstellen kann. 90 Minuten Musik sind das, entstanden in den Jahren um 1742 bis etwa 1746.
Vierstimmige Fugen, Gegenfugen mit Beantwortung in der Umkehrung, in Augmentation und Diminution, Doppel- und Tripelfugen, Spiegelfugen, vier zweistimmige Kanons in unterschiedlichen kontrapunktischen Problemstellungen, am Schluss eine »Fuga inversa a 2 Clavicembali« und ganz am Ende eine Fuge, die abbricht: »Über dieser Fuge, wo der Nahme B A C H im Contrasubjekt angebracht worden, ist der Verfasser gestorben«, schreibt Carl Philipp Emanuel Bach als Notiz im Autograph. (…)

Sir Andràs Schiff hat seinen Weg durch dieses Werk gefunden, entlockt dabei dem Konzertflügel unendlich viele klangliche Register, von hellsten bis hin zu völlig abgedunkelten Tönen. Am Ende des Contrapunctus I setzt er einen vehementen Schlussakkord, stellt den zweiten mit ebensolcher Punktierung vor, greift dann sanfter zu, lässt die Kontrapunkte sich verselbständigen, nimmt den ersten Canon flott und mit Leichtigkeit, sehr verziert und punktiert, produziert elegantes Girlandenwerk, macht den sehr komplexen Contrapunctus VII gut durchhörbar in all seinen Verästelungen und Veränderungen, nimmt den zweiten Canon spielerischer, den dritten blumig und elegant, den vierten widerständig und sagenhaft schön, lässt den Contrapunctus XII ruhig und klar zwischen hell und dunkel changieren.
Für die Spiegelfuge am Schluss hat er seine Assistentin von der Barenboim-Said Akademie Berlin mitgebracht, Schaghajegh Nosrati, Preisträgerin schon 2014 beim Leipziger Bach-Wettbewerb und in Neumarkt in guter Erinnerung mit einem Klavier Recital.
Schiff ist begeistert von ihrem Bach-Spiel und sie nutzt die Chance durchaus, sehr fein abgetönt eigene Akzente in diesem Kosmos zu setzen. Dass die Durchhörbarkeit ein wenig leidet, wenn vier Hände an zwei riesigen Konzertflügeln spielen, das scheint dazuzugehören.
Sir András Schiff schafft es, für jeden Abschnitt dieses Zyklus aus 14 Fugen und vier Kanons einen eigenen anschaulichen Charakter zu finden. Das ist phänomenal und unerreicht. (…)
Das Publikum hielt nach dem abrupten Abbruch nach dem B A C H – Motiv lange still, versunken und konzentriert und angerührt von diesem Opus magnum des Komponisten und des Interpreten.
Auszüge des Artikels von Claudia Böckel, erschienen am Montag, den 15. Dezember 2025 in der Mittelbayerischen Zeitung
