Eifersucht | Rezension Nürnberger Nachrichten
Französischer Countertenor in Hochform: Philippe Jaroussky und sein Ensemble Artaserse präsentierten das neue Barockprogramm »Eifersucht« in Neumarkt.
Der Stich ins liebende Herz
Dass Leidenschaften der Treibstoff der Barockmusik sind, war am Montag im Neumarkter Reitstadel in schillernden Facetten zu erleben. Unter dem Motto »Eifersucht« gab es ein Wiedersehen mit dem grandiosen Countertenor Philippe Jaroussky. Er und das Ensemble Artaserse präsentierten bei den Neumarkter Konzertfreunden ein Programm, das musikalisch und psychologisch tief in die Abgründe menschlicher Gefühle führte.
Die Auswahl der Werke – von Scarlatti über Galuppi und Porpora bis Vivaldi – war ein kunstvoller Parcours durch die Welt der verletzten Herzen, der misstrauischen Liebenden und der inneren Zerrissenheit.
Den instrumentalen Auftakt bildete Domenico Scarlattis Sinfonia in C-Dur, deren Presto mit federnder Leichtigkeit die Bühne bereitete, bevor das Adagio in gedämpfter Melancholie die erste Ahnung von seelischer Unruhe vermittelte. Hier zeigte sich bereits die Handschrift von Artaserse: den sechs Musikerinnen und Musikern gelang ein Spiel von organischer Präzision und rauer Griffigkeit, das die Affekte der Musik plastisch modellierte.
Alessandro Scarlattis Kantate »Ombre tacite e sole« führte mitten hinein in die Schattenwelt der Eifersucht. Die Arie »Con piede errante e lasso« zeichnet das Bild des Liebenden, der in rastloser Ungewissheit umherirrt. Jaroussky ließ die Linien mit einer fast körperlosen Zartheit schweben, als sei die Stimme selbst ein flackerndes Licht im Dunkel. In »Allor d‘intorno a te« hingegen verdichtete sich die Stimmung: Die koloraturgespickten Girlanden wirkten wie nervöse Gedanken, die sich überschlagen.
Jaroussky beherrscht diese Kunst der Affektmodulation wie kaum ein anderer, sie ist die Basis seines weltweiten Ruhms. Sein Countertenor bleibt in der Höhe von silbriger Reinheit, ist ohne jede Schärfe, und gewinnt in der Mittellage jene Wärme, die den Schmerz glaubhaft macht. Und er gebietet über alle seine stimmlichen Mittel mühelos, kann im wunderbarsten Legato die Töne schweben lassen wie unendlich andauernde Traummomente.
Francesco Durante steuerte mit seiner Sinfonia in e-Moll eine instrumentale Meditation bei. Insbesondere das Ricercare, streng und doch atmend, schien die innere Logik der Eifersucht zu spiegeln: ein Kreisen um denselben Gedanken, ein Sich-Verstricken in immer neue Wendungen. Artaserse formte diese kontrapunktische Dichte mit einer Klarheit, die wie ein Sog die Aufmerksamkeit anzog.
Mit Baldassare Galuppis Kantate »La gelosia« wurde das Konzertthema direkt benannt. Schon das Rezitativ »Perdono, amata Nice« ist ein flehentlicher Versuch, die Geliebte zu besänftigen, bevor die Arie »Bei labbri« in süßem Ton die Verführung sucht.

Jaroussky spannte hier den Bogen zwischen schmeichelnder Zärtlichkeit und dem Unterton der Verzweiflung; es entstand ein vokales Psychogramm, das in der zweiten Arie »Giura il nocchier« zur dramatischen Zuspitzung gelangt: Die stürmischen Figurationen, von Artaserse mit elektrisierender Energie begleitet, lassen die Eifersucht wie ein aufziehendes Unwetter erscheinen.
Dass Nicola Porpora dieselbe Kantate unter dem Titel »La gelosia« vertonte, bot nach der Pause die Gelegenheit zum Vergleich: Hier ist die Musik noch raffinierter, erreichen die harmonischen Schattierungen beunruhigende Tiefen.
Jaroussky hatte vom grauen zum schwarzen Anzug mit leuchtend roter Krawatte gewechselt und schärfte die zu erwartende Intensität der Gefühle optisch nochmals nach. Stimmlich nutzte er die Gelegenheit, um die dunkleren Farben seines Timbres auszukosten. Das vokale Spiel mit Licht und Schatten beherrscht er herausragend.
Nach Vivaldis Streicherkonzert in g-Moll RV 157, das mit seinem nervösen Allegro und dem klagenden Largo die emotionale Grundspannung weitertrug, bildete die Kantate »Cessate, omai cessate!« den furiosen Schlusspunkt. Schon das eröffnende Rezitativ ist ein Aufschrei, ein Befehl an die eigenen Gefühle, endlich zu verstummen. Doch die Arien verraten das Gegenteil: »Ah, ch‘infelice sempre« ist ein Strom aus Schmerz,»Nell‘orrido albergo« ein Abstieg in die seelische Finsternis.
Jaroussky gestaltete diese Szenen mit frappierender Intensität; seine Stimme, von schwebender Eleganz bis zu glühender Expressivität, schlug aus wie ein Seismograph bei einem Erdbeben. Artaserse antwortete mit einem Spiel, das die Extreme nicht scheute: schneidende Akzente, eruptive Dynamik, dann ein Pianissimo, das wie ein letzter Hoffnungsschimmer aufleuchtete.
Ovationen waren der Lohn. Jaroussky und Artaserse bedankten sich mit Porporas Arie »Alto Giove« aus »Polifemo« und Vivaldis »Sento in seno« aus »Ottone in villa« und setzten den glänzenden Schlusspunkt unter ein Konzert der Spitzenklasse.
Der Artikel von Thomas Heinold erschien am 3.Dezember 2025 in den Nürnberger Nachrichten.
