Kunst der Fuge | Vorbericht Neumarkter Nachrichten
Sir András Schiff interpretiert Bachs unvollendete »Kunst der Fuge« zum 70. Geburtstag.
Bachs Meisterwerk in Neumarkt
»Sir András Schiff wird aufhören zu spielen, wo Bach mit der Komposition aufhören musste. Wir danken unserem Publikum vorab für einen Moment des Innehaltens nach dem letzten, unvollendeten Contrapunctus«, schreiben die Neumarkter Konzertfreunde zur Vorbereitung auf Schiffs Konzert mit J. S. Bachs Kunst der Fuge. Im Leben des Pianisten ist das Jahr nach seinem siebzigsten Geburtstag der besondere Moment, wo er sich an Aufführungen dieses Werks wagt - nach bisher allen Klavierwerken Bachs: »Jetzt ist es soweit, und ich möchte hier immer tiefer und weiter gehen - das Ziel ist nie erreicht«.
Aber es ist der Takt 239, bei dem Bach endet und sein Sohn Carl Philipp Emanuel auf das letzte Notenblatt schrieb: »...ist der Verfaßer gestorben«, und weiter: »der selige Verfasser dieses Werks wurde durch seine Augenkrankheit und den kurz darauf erfolgten Tod außer Stand gesetzt, die letzte Fuge ... zu Ende zu bringen«. J. S. Bach hatte sein Werk keinem speziellen Instrument zugeordnet. Und so hat es verschiedenste Musiker und Besetzungen gereizt, sich an Aufführungen und Aufnahmen zu versuchen.
Sehr erfolgreich zuletzt Jörg Halubek bei der Ansbacher Bachwoche 2023 und mit einer hochgelobten CD-Aufnahme seines Ensembles Il Gusto Barocco im thüringischen Ponitz, wo eine Silbermann-Orgel zur Verfügung stand. Der berühmte Cembalist Gustav Leonhardt hat aufgrund des Subskriptionsaufrufs für den Erstdruck 1751 dafür plädiert, Die Kunst der Fuge für ein Tasteninstrument gedacht anzusehen.
Bewusst unvollendet?
Dem folgt Sir András bei seiner Interpretation dieses geheimnisumwobenen Werks, von dem die neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen annehmen, dass Bach durchaus nicht die Feder für die Kunst der Fuge durch den Tod aus der Hand genommen worden sei, sondern vielmehr über der Vollendung seiner h-Moll-Messe. Vielleicht, vermutet man, habe Bach bewusst ein Fragment hinterlassen wollen: als Geste der eigenen Unvollkommenheit gegenüber Gott. András Schiff findet es »atemberaubend, dass diese Musik so in der Luft hängen bleibt«. Es sei bemerkenswert, dass dieses Ende des vierzehnten Contrapunkts im Takt 239 dieselbe Quersumme hat wie die Alphabetposition der Buchstaben B, A, C, H = vierzehn - Bachs Werk als mathematische Fleißaufgabe. Genauso ungewöhnlich die Aufführungsgeschichte: die Kunst der Fuge auch als Orchesterstück in einer Partiturnotierung im letzten Jahrhundert wie eine Verklärung des musikalischen Mythos.
Schiff selbst, im Besitz von Faksimiles verschiedener Stadien der Druckfassungen, hat sein Leben lang das Werk studiert: »Was Bach hier erreicht hat, dafür lohnt es sich zu leben«. Und er empfindet jede Aufführung als Entstehung von Harmonie und einer »Welt in Ordnung« und er zieht die Folgerung: »So kann die Gesellschaft auch funktionieren - mit Geduld, mit Toleranz«.
Allerdings: bei der Tournee des Israel Philharmonic Orchestra kürzlich in Belgien musste er mit dem Dirigenten Lahav Shani erleben, dass von »Toleranz« keine Rede sein kann - allerdings dort ohne den Einfluss der Fuge. Das mögen in Belgien Momente gewesen sein, die an Schiffs politisches Engagement seit vielen Jahrzehnten anknüpfen und die auch mit den Auszeichnungen honoriert wurden, die Schiff bisher bekommen hat - der höchstdekorierte Pianist und Musiker wohl überhaupt: die Erhebung in den englischen Ritterstand, das große Bundesverdienstkreuz am Bande, die Bach-Medaille der Stadt Leipzig, die Festspielnadel der Salzburger Festspiele und mehr.
Am schönsten benannt ist darunter wohl der Premio Una vita della musica des Teatro La Fenice von Venedig. Am wertvollsten jetzt der japanische Praemium Imperiale, der Sir András im Oktober überreicht wurde, eine Art Nobelpreis im Bereich der Künste. Und so sieht man dem ersten von zwei Konzerten von Sir András in dieser Konzertfreunde-Saison mit Spannung und einer gewissen Ergriffenheit entgegen.
Donnerstag, 12. Dezember, um 19.30 Uhr. Ausverkauft, zurückgegebene Karten an der Abendkasse.
Dieser Artikel von Uwe Mitsching in am 9. Dezember in den Neumarkter Nachrichten erschienen.
