Stuttgarter Kammerorchester & Thomas Zehetmair | Rezension II
Zauberwald-Feeling mit Zehetmair - Ein Abend voller Klangzauber, Virtuosität und musikalischer Überraschungen im Neumarkter Reitstadel.

Zauberwald-Feeling mit Zehetmair
Von Uwe Mitsching
„Klangmagier“ hieß dieser „Konzertfreunde“-Abend, und man dürfte damit den Geiger Thomas Zehetmair gemeint haben, zugleich als Dirigent des Stuttgarter Kammerorchesters, aber auch als Komponisten, dazu noch die jugendlichen „Magier“ Mozart und Mendelssohn in einem üppig ausgestatteten, ausverkauften Konzert.
Gleich beim Violinkonzert KV 219 hatte man genug Anlass nachzuhören: War das wirkliche Zauberei oder zauberhafter Umgang mit all den Anregungen, die der junge Mozart von seinen Italienreisen, von französischen Einflüssen und Moden aufgesogen hat?
Im Menuett des Violinkonzerts merkte man das ganz besonders und natürlich obendrein in den Zitaten der türkischen Janitscharen-Musik im Finale und mit der Nachahmung des Spiels mit der „Bogenstange“ bei den Celli und im Bass („coll’arco all roverscio“). Das alles ist kein Mozart-Zauber, geschweige Magie, sondern geschickt-geschmackvoll, publikumswirksam kombiniert, von Zehetmair (inzwischen zum 10. Mal in Neumarkt) eindrucksvoll nach der Tutti-Einleitung, dem kurzen Adagio im schwungvollen ersten Thema präsentiert.
Kammermusik mit Wucht
Themen verschiedensten Charakters, Zehetmairs Ton in der für ihn typischen Konsistenz, mit herber Süße und das alles konzis durchdacht: das Fröhlich-Marschartige, die Poesie und Eleganz in der Folge der Sätze - Zehetmair manchmal dem Orchester, manchmal dem Publikum zugewandt mit seiner Fülle von Darstellungsmöglichkeiten ohne die strenge Struktur wie sonst im Konzert des Barock seit Vivaldi, sondern wie in einer Art opernhaftem Zauberwald.
Die Stuttgarter klingen nicht nach schüchternem Kammer/Streichorchester, sondern oft wie gemeißelt und nach frühreifer Vollendung. Der klare Klang dominiert bei Zehetmair im Violinpart dieses zumal im Adagio-Mittelsatz glänzend vollendeten, wenn auch frühen Mozarts - alles in deutlicher Artikulation und Virtuosität - wie ein den beiden Kadenzen sowieso.
Jugendliche Genialität (auch eine Portion Fleiß) bestimmte, obwohl Zehetmair die Sechzig schon überschritten hat, auch das weitere Programm: mit Felix Mendelssohn Bartholdys Streichersinfonie Nr. 10 (von da an zählen die großen Symphonien neu). Es ist auch hier die Faszination des Suchens nach der Stellung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: nach der Opernleidenschaft Franz Schuberts, nach der Unzahl von Schauspielmusiken.
Entsprechend betont Zehetmair als Dirigent die wuchtig-mächtigen Klangblöcke im Anfangs-Adagio, den Wechsel von Heroisch-Dramatischem und lyrischer Sanftmut, mitreißend gelingt manche geradezu vulkanische Passage genauso wie die Poesie im Bratschensolo. Das alles wird zu einem einsätzig-konzentrierten Wirbel, der das Neumarkter Publikum perplex zurücklässt.
Noch dazu, wenn es schon vor der Pause einen unerwarteten Zugaben-Knüller gab: einen „Vorgeschmack“, sagte Zehetmair, auf den 2. Teil. Er meinte ein „Rondo für Violine und Violoncello“ und nennt als Komponisten: „von mir“. Partner ist hier der Cellist Nikolaus von Bülow, und Zwölftonmusik ist es wie vor hundert Jahren von einem Arnold Zehetmair oder Thomas Schönberg.
Da verfolgt man unter Anleitung des Komponisten die Entwicklung einer veritablen Zwölftonreihe in der „Passacaglia“, ein raffiniertes Pizzicato-Scherzo, eine Erinnerung an eine Tonreihe von Thomas von Aquin: sehr interessant und für eine Menge mehr Pausenapplaus gut.
Mit „Vorgeschmack“ war da der Wiederbeginn nach der Pause gemeint: Denn da gab es als „Deutsche Erstaufführung“ kundig erklärt und attraktiv gespielte drei Sätze, die das Stuttgarter Kammerorchester genauso temperamentvoll wie aufmerksam verfolgt, auch die melodischen Bruchstücke, das alles in dem Bewusstsein, auf welches kompositorische Abenteuer man sich da einlässt.
Man kann sicher mit Aufführungen in anderen Konzerten rechnen, wenn Zehetmair in der neuen Saison wieder ins UK und die USA ausschwärmt. Den Erfolg macht Neumarkt vor, besonders wenn ein Stück in die Symmetrie eines Programms wieder so geschickt eingebaut wird. Denn den Schluss machte doch wieder Mozart mit seiner Sinfonie KV 201.
Zehetmair spielt bei den ersten Geigen nicht mit, sondern konzentriert sich ganz auf seine Arbeit am Pult, lässt seine Hände sanft über dem schmeichelhaften Beginn schweben, profitiert deutlich von seinem bemerkenswerten kommunikativen Geschick.
Das Ergebnis ist dementsprechend eine abwechslungsreiche Wiedergabe mit einer heftigen dynamischen Berg-und-Tal-Fahrt, mit heftig aufgetragenen Klangfarben, manchmal an der Grenze zum Grellen. Den im Gegensatz dazu moderaten Zugaben-Schluss lieferte Mendelssohns Streichersinfonie Nr. 2 und deren 2. Satz in einer jugendlich, hingebungsvollen Gefühlswelt.
Dieser Artikel von Uwe Mitsching ist am 03.11.2025 in den Neumarkter Nachrichten erschienen. 
 
