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Verklärte Nacht | Rezension II

Schönbergs »Verklärte Nacht« begeistert in Neumarkt und zieht Publikum in seinen Bann.

Verklärte Nacht

Konzertkritik von Uwe Mitsching zum Konzert vom 6. April 2025

Bitte nicht verwechseln: Erst 1918 hat Arnold Schönberg den »Verein für musikalische Privataufführungen« gegründet, um »Künstlern und Kunstfreunden eine wirkliche und neue Kenntnis moderner Musik zu verschaffen«. Aber 1902 gab es längst den »Wiener Tonkünstlerverein«, als im Kleinen Saal des Wiener Musikvereins Schönbergs Streichsextett »Verklärte Nacht« uraufgeführt wurde, und das war damals schon ein umstrittener und ausgepfiffener Anfang seiner »Modernen Musik« - allerdings noch spätromantische und keineswegs »Zwölftonmusik«. Jetzt gab es bei den »Neumarkter Konzertfreunden« eine nahezu identische Doublette dieses Abends, der Programmzettel war im aktuellen Programmheft abgedruckt: »am 18. März um halb 8 Uhr«.

Um halb sieben fing im ausverkauften Reitstadel diese denkwürdige Uraufführungs-Wiederholung eines der maßgeblichen Werke der »klassischen Moderne« an, stand am Ende, war Höhepunkt des Programms, begann mit dem leisen Zusammenspiel der jeweils zwei Bratschen und Celli: »Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain / Der Mond läuft mit, sie schaun hinein«. Die Verse des Fin-de-siècle-Dichters Richard Dehmel sprechen zwar nicht von hervorragender dichterischer Qualität, aber Stimme gesellt sich zu Stimme, immer wieder bäumt sich die Musik dramatisch auf, fällt zurück mit den individuellen Farben der sechs Streicher.

Arnold Schönberg, Streichsextett op. 4 »Verklärte Nacht«: Ilya Gringolts, Violine – Franziska Hölscher, Violine – Gregor Sigl, Viola – Lily Francis, Viola – Clemens Hagen, Violoncello – Julia Hagen, Violoncello
Arnold Schönberg, Streichsextett op. 4 »Verklärte Nacht«: Ilya Gringolts, Violine – Franziska Hölscher, Violine – Gregor Sigl, Viola – Lily Francis, Viola – Clemens Hagen, Violoncello – Julia Hagen, Violoncello

Typisch für die Spätromantik

Der Bratscher Gregor Sigl war es übrigens, der den Programmzettel in Wien entdeckt und die Idee zu dieser Wiederauflage hatte - er bleibt auch der klangliche und interpretatorische Mittelpunkt dieses Halbstunden-Opus‘. Alle Elemente, die man im sonstigen Programm zunächst vorgeführt bekommen hatte (Kammermusik von Grädener und Brahms), die fügen sich hier bei Schönberg wie Bildelemente aneinander, typisch für alle drei spätromantischen Komponisten ist immer wieder dieses heftige Aufbäumen und das Zurückfallen in das subtile Zusammenspiel von Cello mit der 2. Violine.

Das alles gliedert sich nicht in klassisch geformte und aneinandergereihte Sätze, sondern man erlebt die Vertonung dieser Spaziergangs-Szene zweier Verliebter. Sie gesteht, ein Kind zu bekommen, aber nicht von ihrem aktuellen Begleiter, er aber verspricht, es wie ein eigenes aufzuziehen. Das klingt alles nach den Erzählungen eines Arthur Schnitzler, nach dem »süßen Mädel« mit der unverhofften Schwangerschaft, nach dem Galan, der sie »um die starken Hüften« fasst - warum das Schönberg gefallen hat, wird nicht so recht klar, man erlebt in seiner Musik aber eine fortlaufende Szenerie, die den rein musikalischen Bereich verlässt und zu einer szenischen Kammermusik wird.

Am besten, man legt sich den Dehmel-Text neben die Musik. Da wird man nicht die klassische Allegro- oder Rondo-Gliederung wiederfinden, sondern die Darstellung einer Handlung bis hin zum Ende des »Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht« - und die Sterne blinken dazu. Da gab es bei der Uraufführung 1902 sicher verständnisvolle Ergriffenheit, aber auch Protest gegen den Verlust der gewohnten Form, heute aber gibt es frenetische Zustimmung für diesen deskriptiven Stil - als wäre man schon in der Stummfilmzeit.

Johannes Brahms, Streichquintett Nr. 1 F-Dur op. 88: Ilya Gringolts, Violine – Franziska Hölscher, Violine – Gregor Sigl, Viola – Lily Francis, Viola – Julia Hagen, Violoncello
Johannes Brahms, Streichquintett Nr. 1 F-Dur op. 88: Ilya Gringolts, Violine – Franziska Hölscher, Violine – Gregor Sigl, Viola – Lily Francis, Viola – Julia Hagen, Violoncello

Gregor Sigls Idee wurde von Ilya Gringolts, Franziska Hölscher, Lily Francis, Julia und Clemens Hagen (Tochter und Vater aus Salzburg) nach der Redseligkeit eines Streichquartetts von Hermann Grädener und dem Streichquintett Nr. 1 von Johannes Brahms tatsächlich als ein Stück maßgeblicher »moderner Musik« interpretiert, mit starker Kraft der Ölfarben dieser im Detail durchaus etwas dubiosen Lyrik. Da wird »Kammermusik« zur »Programmmusik«, zur Vertonung eines Gedichts, das von »himmlischem Licht« und dessen »schwarzen Zacken« erzählt.

Großartiges Niveau bestimmte die Wiedergabe der anderen beiden Werke: der üppigen Dimensionen dieses Quartetts des in Kiel geborenen Wiener Hofoperngeigers und -dirigenten Grädener, der vielfältigen Ausdrucksintensität bei Johannes Brahms, die von Sommerfrische und Wörthersee berichtet. Alles fügte sich an diesem Abend kongenial zusammen, stellte auch in seiner Länge aber auch Ansprüche an die Aufnahmefähigkeit des Publikums: wenn auch zwei Stradivari-Instrumente mit von der Partie waren.

Der Konzertbericht »Einstiges Wiener Skandalkonzert begeistert in einer neuen Auflage das Neumarkter Publikum« erschien am 8.4.2025 in den Neumarkter Nachrichten.