Weihnachtsoratorium | Rezension Neumarkter Nachrichten
KRAFTVOLL - Balthasar-Neumann-Chor und -Orchester bezaubern in Neumarkt, erstmals unter Leitung von Lionel Sow.
Sanftes Einschwingen
Lionel Sow hat beim vorweihnachtliche Konzert im Neumarkter Reitstadel den Balthasar-Neumann-Chor und das Orchester geleitet.Das »Konzertfreunde«-übliche »Ausverkauft« war nicht nur der luxuriösen Besetzung zu verdanken, sondern auch dem ungewohnten Programmkonzept. Das verzichtet neun Tage vor Heiligabend auf alle Tannengrün-Deko, die Krippen im Reitstadel waren schon abgeräumt, die Bescherung konzentrierte sich auf das Glück des Wiederhörens mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Orchester und mit einem unerwarteten Beginn: ganz sanft erklang Hugo Distlers »Wachet auf«: zumal mit den Frauenstimmen wie ein Einschwingen in die Heilige Nacht, in eine Klangwelt wie von Olivier Messiaen.
Diese Einstimmung war auch der Beginn der Begegnung mit Lionel Sow, der sich in Zukunft die Planung und Arbeit des Chors, abgekürzt bnco, teilen wird – mit dem auch in Neumarkt unvergessenen Thomas Hengelbrock. Sow ist gut beschäftigt mit den Chören des Orchestre der Paris, in Lyon, Breslau und bei Radio France, ist Gründer von Kammer- und Kinderchören – ein handfester Mann mit viel Temperament, Überblick und Stilsicherheit. Und als Franzose sicher ohne jeden Vorbehalt, das »Weihnachtsoratorium« von J. S. Bach mit Distlers Sanftheit zu beginnen und mit den Pauken und Trompeten der Kantate I »Jauchzet, frohlocket« zu warten.
Die hat ihren Ursprung als Glückwunschkantate zum Geburtstag der sächsischen Kurfürstin und polnischen Königin Maria Augusta: Vier Teile davon wurden in das Weihnachtsoratorium im Parodieverfahren übernommen – nicht die einzigen. Von dem haben viele Hörer wohl ihr Idealbild mit in den Reitstadel gebracht: Wer alt genug ist, noch das von Karl Richter aus München, von Nikolaus Harnoncourt oder Karl-Friedrich Beringer - abgesehen von all den Kantoren mit ihren begeisterungsfähigen Chören, den rumpelnden Pauken, glitzernden Trompeten und Solisten. So macht es auch der Balthasar-Neumann-Chor. Viele SängerInnen haben auf diese Weise ihre Solokarriere begonnen (etwa Dorothee Mields).
Die Neumarkter Aufführung stattete die Solisten-Liste besonders schwelgerisch aus: darunter mit dem Countertenor Terry Wey und mit einem selten so abgefeimt klingenden König Herodes wie des Bassisten Daniel Ochoa. Als Evangelist hinterließ Julian Prégardien einen besonders tiefen Eindruck schlichter, einfacher Innigkeit.
»Er hat eine sehr starke und glückliche Persönlichkeit, auch weil er gut damit umgehen kann, dass sein Vater bekannt ist«, sagte Christoph Prégardien als eben dieser Vater, lange Zeit einer der führenden Lied-, auch Opernsänger und Oratorien-Evangelisten (in Neumarkt auch mit einer unvergessenen »Schönen Müllerin«). Nun ist Julian selbst Vater, Professor für Liedgesang in München, Star der Festspiele von Aix-en-Provence oder Salzburg. In seiner sympathisch-ungekünstelten Art verbreitet er eine große Glaubensgewissheit, in der biblischen Geschichte eine sehr natürliche Glaubwürdigkeit in höchst verständlicher Phasierung und Artikulation – die Geschichte von Bethlehem als glaubhafte Erzählung.
Und unterstützt durch eine völlig parallele Aktion von Lionel Sow: nichts, das da vokal und instrumental unerreichbar wäre an sicherer Aussprache, kraftvoller Betonung und in den Akzenten des Triumphs. Auch wenn das Ensemble nach der Pause die Kantaten V und VI anfängt und die Heilsgeschichte weitererzählt, investiert gerade der Chor viel Atem und inspirierte Präzision in den Eingangschor zu »Ehre, sei dir, Gott, gesungen«. Sow ist durchweg kein Interpret der breiten Striche, sondern gibt zuweilen einen geradezu vehementen, manchmal tänzerischen Duktus vor: mitreißend in Rezitativen und Arien, in solchen exquisiten Kombinationen wie von Oboe und Fagott.
Prégardien verströmt dazu wahrhaftige Glaubensgewissheit. Die geht problemlos einher mit »Es ist ein Ros entsprungen« in einer klangwolkenartigen Übermalung des Praetorius-Originals durch Jan Sandström und den herben Farben eines Chorals von Thomas Adès. Das alles ist eine beglückende Wiederbegegnung mit den Balthasar-Neumann-Ensembles, beim nächsten Konzertfreunde-Abend am 28. Januar wird es dagegen einen Abschied geben: von der Cappella Andrea Barca.
Dieser Artikel von Uwe Mitsching ist am 17. Dezember in den Neumarkter Nachrichten erschienen.



